Eine Organizational Due Diligence beschäftigt sich nicht nur mit verwaltungsmäßigen Einrichtungen, sondern gibt auch schon eine erste Auskunft über die Kultur des Unternehmens. Soweit es um ein IPO geht, gewinnt diese Form der Due Diligence an Bedeutung, da nur eine funktionierende Organisation und eine intakte Unternehmenskultur nachhaltige Erfolge ermöglichen.
Organisation und Entscheidungsverfahren
Zunächst einmal muss der organisatorische Aufbau im Hinblick auf die Größe und den Zweck des Unternehmens ausreichend und angemessen sein. Hier ist gerade bei innovativen Unternehmen, die ein IPO planen, oft zu beobachten, dass der operative Bereich schneller gewachsen ist als die organisatorische Einrichtung. Es werden oft sehr hohe Umsätze mit einem organisatorischen Apparat bewältigt, der mit seinen mittelständischen Strukturen gar nicht dafür eingerichtet ist. Deutlich wird das immer an Mehrfachzuständigkeiten einzelner Personen. Das Gefährdungspotenzial einer solchen Unterversorgung ist offensichtlich.
Wichtig ist, dass die Bereiche Vertrieb, Einkauf, Verwaltung, Rechnungswesen, Rechts- und Steuerabteilung unter Berücksichtigung branchenspezifischer Besonderheiten in etwa gleichwertig vertreten sind.
Im Rahmen einer intakten Organisation liegt eine funktionale Regelung der einzelnen Verantwortungsbereiche vor, die bei detaillierten Stellenbeschreibungen eindeutige Kompetenz- und Vertretungsregeln beinhaltet. Dabei ist es hilfreich, wenn die Regelungen in einem Organisationshandbuch enthalten sind. Es müssen klare Anweisungen der Führungsebene vorliegen, die auf Nachfrage dokumentierbar sind. In diesem Zusammenhang sollten „ISO 9000“ – oder „ISO 9001“-Zertifizierungen mit untersucht werden.
Das Entscheidungsverfahren in der Führungsebene muss ebenfalls mit allen Beteiligten abgestimmt werden. Es muss geregelt sein, von wem, in welcher Zeit und aufgrund welcher Informationsvorlagen Entscheidungen getroffen werden. Eine Kontrolle der Durchführung muss mit einer Zeitvorgabe vorgesehen sein. Im Grunde müssen Entscheidungsvorgänge nach den Regeln des Projektmanagements erfolgen.
Funktionierende Entscheidungsverfahren setzen einen intakten Informationsfluss innerhalb des Unternehmens voraus. Ein solcher Informationsfluss darf keine Einbahnstraße sein, d. h. er muss innerhalb einer Hierarchie von unten nach oben und umgekehrt bestehen. Organisatorisch kann ein freier Informationsfluss durch informelle Gespräche, „offene Türen“, aber auch durch regelmäßige Treffen der Mitarbeiter zu einem gegenseitigen Gedankenaustausch erleichtert werden.
Rechnungswesen und Controlling
Eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine wirksam implementierte Führung ist die Organisation eines effektiven Rechnungswesens und Controllings. Führungsfehler bei der Einrichtung eines Planungs- und Kontrollsystems führen leicht zu unternehmerischen Fehlentscheidungen oder zu späten Anpassungen. Soweit Kostenrechnung und Kalkulation nicht effektiv sind, kann es insbesondere im Projektgeschäft zur Übernahme von verlustbringenden Aufträgen führen. Für die Einschätzung der Wirtschaftlichkeit einzelner Bereiche des Unternehmens ist eine Erfolgsaufschlüsselung nach Sparten, Produkten, Kundengruppen, Filialen etc. erforderlich.
Ein wesentlicher Teil der Organisation wird durch den Bereich Finanzen und Controlling abgedeckt. Das Informations- und Berichtswesen muss zeitnah, kurz und wirtschaftlich sein. Die Betriebsabrechnung und die Ergebnisrechnung müssen mit dem Controllingsystem und dem internen Kontrollsystem verknüpft sein.
Das Rechnungswesen hat die Aufgabe, die Buchhaltung und den Jahresabschluss zu übernehmen. Je nach Tiefe des Rechnungswesens werden auch Quartalsabschlüsse oder Monatsabschlüsse aufgestellt. Hier wird auch die Steuerabteilung geführt.
Die allgemeine Überprüfung der Buchhaltung wird sich auf die dem Geschäftsumfang entsprechende Größe und auf eine Organisation erstrecken, die eine ordnungsgemäße und zeitgerechte Verbuchung aller Geschäftsvorfälle sicherstellt.
Die Überwachung der Debitoren muss sicherstellen, dass sich kein größeres Ausfallrisiko aufbaut. Dazu sind die Führung einer „Offene-Posten-Liste“ und eine eigene Mahnabteilung erforderlich. Für Zahlungseingänge, die z. T. als Scheckeinreichungen erfolgen, ist durch organisatorische Maßnahmen das Unterschlagungsrisiko zu vermindern. Bei den Kreditoren müssen Vorkehrungen geschaffen werden, dass eine Bezahlung erst nach einer Rechnungsprüfung erfolgt und im Übrigen eine Doppelzahlung ausgeschlossen wird. Zur Ermittlung möglicher Eventualverbindlichkeiten sollte eine Vertragsdatei geführt werden, aus der ggf. in Zusammenarbeit mit der Rechtsabteilung die entsprechenden Risiken herausgefiltert werden können.
Soweit ein größeres Anlagevermögen von Immobilien und technischen Einrichtungen verwaltet werden muss, ist eine gesonderte Abteilung erforderlich, die den Bestand und die erforderlichen Aufstockungen überwacht. Hierzu ist ein enger Kontakt mit der Produktionsabteilung erforderlich, um z. B. die Verschrottung von Anlagen zu erfassen und eine kurzfristig erforderliche Erweiterung der technischen Anlagen sicherzustellen. Ausschlaggebend für die Bewältigung dieser Aufgabe ist eine umfassende und regelmäßig aktualisierte Anlagendatei. Deren Aktualität kann nur durch regelmäßig wiederholte Inventuren der Anlagengegenstände sichergestellt werden. Wenn entsprechende Unterlagen nicht vorhanden sind, ist gerade bei einem sehr großen Anlagevermögen Vorsicht geboten. Insoweit kann auch nicht auf einen geprüften Jahresabschluss Bezug genommen werden, weil auch dort nur eine buchmäßige Anlagenwertfortschreibung enthalten sein kann. Dazu gehört auch eine übersichtliche Führung der Grundstücksakten. Dies ist auch für die neuen Aktionäre von Interesse, um eine Aussage zu erhalten, ob ein Teil der Grundstücke als nicht betriebsnotwendig eingestuft werden kann und damit für Finanzierungszwecke zur Verfügung steht.
Auch ein größerer Bestand an Finanzanlagen macht eine eigene Abteilung erforderlich, die eine ordnungsgemäße Verwaltung sicherstellt und die Wertentwicklung laufend verfolgt. Dazu gehört bei mehreren Tochtergesellschaften auch eine konsequente Beteiligungsführung durch ein einheitliches Berichtswesen und regelmäßige strategische Sitzungen über die Entwicklung der Ertragskraft dieser Unternehmen, die dokumentiert sein müssen. Regelmäßige Besuche vor Ort runden das Reportingsystem ab. Hierzu gehören auch Überlegungen inwieweit ein Abwertungsrisiko bei Beteiligungsgesellschaften besteht. Dieses Risiko kann sich dramatisch erhöhen, wenn gleichzeitig hohe Forderungen gegenüber diesen Gesellschaften aus Darlehen oder Warenlieferungen bestehen. Im schlimmsten Fall können sich bei dem Aufbau von Lagerbeständen bei Tochtergesellschaften und dem nicht erfolgenden Abverkauf gravierende Ansatzpunkte für eine nicht mehr vorhandene Marktfähigkeit der Produkte der Muttergesellschaft ergeben.
In produzierenden Unternehmen ist die (Herstell-) Kosten- und Leistungsrechnung zu analysieren. Die Abstimmung zwischen dem Rechnungswesen und dem Controlling muss wirtschaftlich durchgeführt werden können. Am besten ist ein DV-System, das die einzelnen Buchungen für die Monatsabschlüsse und die Zuordnung zu Kostenstellen und nach Kostenarten zugleich durchführt, weil dann zeit- und kostenintensive Abstimmarbeiten mit ihren möglichen Fehlerquellen unterbleiben.
Daneben müssen organisatorische Regelungen bestehen, die im Rahmen einer Kostenkontrolle eine Budgetierung der Vertriebsgemeinkosten, der Forschungs- und Entwicklungskosten und der Verwaltungskosten beinhalten. Der Nutzen von reinen Kostensenkungsprogrammen ist allerdings eher eingeschränkt.
Eine kurz- und langfristige Unternehmensplanung nebst einer Finanzierungs- und Liquiditätsplanung muss organisatorisch im Bereich der Unternehmensleitung und des Rechnungswesens implementiert sein. Hilfreich ist eine Dokumentation des Planungsverfahrens. An der Intensität eines solchen Verfahrens kann abgeleitet werden, ob das Unternehmen in der Lage ist, neben dem operativen Geschäft die Ausgestaltung der zukünftigen Entwicklung mit zu berücksichtigen.
Im Rahmen des Planungsverfahrens sind auch die zukünftig erforderlichen Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen einzubeziehen. Das ist auch im Hinblick auf die Substanzerhaltung wichtig.
Neben den betriebswirtschaftlichen Belangen sollten im Bereich Finanzen auch Vorkehrungen getroffen sein, die sich mit einer Optimierung der Steuerzahlungen befassen. Dazu gehören auch die Nutzung von Verlustvorträgen und gegebenenfalls Überlegungen zur Standortwahl im Hinblick auf die Gewerbesteuerbelastung. Diese Überlegungen sind allerdings eher arrondierender Natur.
Verwaltung
In der Verwaltung werden die Personalabteilung und die Rechtsabteilung geführt. Bei einem großen Immobilienbesitz oder einem großen Bestand an Versicherungen bestehen für diese Bereiche eigenständige Abteilungen. Soweit ein Unternehmen über einen Immobilienbesitz verfügt, sollte eine organisatorische Vorkehrung zur Verwaltung geschaffen sein, die sich auch regelmäßig mit der Frage befasst, ob eine anderweitige Nutzung möglicherweise betriebswirtschaftlich sinnvoller ist. Auch die Einkaufsabteilung wird in der Verwaltung geführt, während die Vertriebsabteilung meistens gesondert organisiert ist.
Im Rahmen einer Organizational Due Diligence ist auch auf eine optimale Nutzung der DV einzugehen. Weder eine über- noch eine unterdimensionierte DV-Strukur ist für die effektive Führung eines Unternehmens von Vorteil. Ausschlaggebend sind die Anforderungen im Unternehmen selbst. Eine übertriebene DV-Organisation führt oft zu einem Eigenleben dieses Bereiches außerhalb betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten.
Die Unterlagen zu den bestehenden Versicherungen sind im Hinblick auf eine Optimierung des Versicherungsschutzes zu überprüfen. Hier sollte auf eine regelmäßige Überprüfung des Versicherungsschutzes geachtet werden, die gesondert implementiert sein muss.
Einkauf
Die Analyse der Einkaufsabteilung hängt wesentlich von der Art des Betriebes ab. Soweit es sich lediglich um einen Dienstleister handelt, wird nur Verbrauchsmaterial niedriger Stufe benötigt, wie z. B. Büromaterial o. Ä. Bei einem produzierenden Betrieb ist die Einkaufsabteilung von außerordentlicher Wichtigkeit, weil sie die Versorgung und Aufrechterhaltung der Produktion sicherstellt und darüber hinaus die ersten Weichen für die Ertragskraft des Unternehmens stellt. Organisatorisch muss daher sichergestellt sein, dass die benötigten Rohstoffe und Vormaterialien zur rechten Zeit in ausreichender Menge zu marktgerechten Preisen zur Verfügung gestellt werden. Für diese Vorgaben muss ein organisatorisches Instrumentarium geschaffen werden.
Die ausreichende Beschaffung setzt zunächst einen Überblick voraus, welche Rohstoffe bei einer bestimmten Produktionskapazität vorhanden sein müssen. Hierzu müssen Aufzeichnungen in dieser Abteilung vorliegen. Soweit es Ansätze für eine drohende Verknappung aus rohstoffbedingten, politischen oder markttechnischen Gründen gibt, sind verschiedene Lieferanten vorzumerken. Darüber hinaus müssen Überlegungen zu Substitutsprodukten angestellt werden.
Der Einkauf muss Vorkehrungen dafür geschaffen haben, dass immer die ausreichende Menge an Produktionsstoffen auf Lager ist. Überbestände sind zu vermeiden, um die Zinsbelastungen nicht unnötig auszudehnen. Hierzu ist erforderlich, dass die durchschnittliche zur Produktion benötigte Menge in der Einkaufsabteilung bekannt ist und Anpassungen aufgrund einer Verminderung oder einer Erweiterung unmittelbar von der Produktion mitgeteilt werden. Dieses Kriterium ist dann erfüllt, wenn die Durchführung der Produktion mit der Einkaufsabteilung DVtechnisch verbunden ist, so dass die Anpassungen gleichzeitig mit einer Veränderung der Produktion erfolgen können. Für die Erzielung eines möglichst günstigen Einkaufspreises ist es von Bedeutung, dass in den Lieferbeziehungen keine Abhängigkeiten entstehen und das Instrumentarium eines laufenden Preisvergleiches geschaffen wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, auf eine ausreichende Kontrolle der Einkäufer zu achten, damit nicht durch Bestechung Preiszugeständnisse zu Lasten des Unternehmens gemacht werden. Diese Aufgabe wird komplexer, wenn gleichzeitig auf bestimmte Serviceleistungen geachtet werden muss. Soweit Rohstoffe mit ausländischer Währung bezahlt werden müssen, ist je nach Umfang der Zahlungsströme und der Zahlungsfälligkeiten sicherzustellen, dass eine Währungssicherung vorgenommen wird. Die Wareneingangskontrolle muss eine Qualitätskontrolle beinhalten und gleichzeitig sicherstellen, dass die Lieferung der Bestellung entspricht. Gleichzeitig muss eine intakte Lagerverwaltung bestehen, die das Unterschlagungsrisiko durch wirksame Kontrollen vermindert.
Vertrieb
Die Prüfung der Organisation der Vertriebsabteilung wird sich je nach Größe des Unternehmens wieder auf einzelne Abteilungen erstrecken.
In der Werbeabteilung ist das Konzept für die Werbung zu entwickeln und zu verwirklichen. Dafür sind die entsprechenden grafischen Möglichkeiten und das Personal vorzuhalten, das die Werbekampagnen durchführen kann. Soweit das Werbebudget an eine Agentur vergeben wird, sind die Konditionen und die Erfolge mit dieser Agentur zu überprüfen, soweit sie messbar sind.
Der eigentliche Vertrieb ist für die Angebots- und Preispolitik und für den Aufbau eines Vertriebsnetzes zuständig. Auch hier sollten es die organisatorischen Einrichtungen sicherstellen, dass auf Marktänderungen kurzfristig reagiert werden kann. In manchen Unternehmen wird eine eigene Marktforschung betrieben. Die Zusammensetzung der angebotenen Produktpalette muss regelmäßig auf Stimmigkeit untersucht werden.
Soweit der Vertrieb durch eigene Angestellte durchgeführt wird, ist das Entlohnungssystem von Bedeutung. Die erfolgsabhängigen Komponenten sollten möglichst hoch und mit der Erzielung des Ergebnisses und nicht nur mit der Realisierung von Umsätzen gekoppelt sein.
Soweit es um die Bewältigung großer Warenströme geht, muss es eine eigene Absatzabteilung geben, die die logistischen Probleme der Lieferung zu bewältigen hat. Dies kann durch eine eigene Spedition oder durch einen externen Dienstleister erfolgen. Hier sind auch Vorkehrungen für eine wirksame Warenausgangskontrolle zu treffen.
Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen
Unabhängig davon, ob sich die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen sinnvoll in das Gesamtgeschehen des Unternehmens einpasst, sind organisatorische Vorkehrungen zu treffen, die dies vorbereiten. So ist zu gewährleisten, dass sich Vertrieb und Produktion regelmäßig darüber austauschen, welche Produkte von den Kunden gewünscht werden, damit ggf. eine Anpassung oder Erweiterung des Produktprogramms vorgenommen wird. Auch zwischen dem Vertrieb und der Verwaltung ist eine regelmäßige Abstimmung erforderlich, um z. B. sicherzustellen, dass der Vertrieb keine Kunden beliefert, gegen die noch ausstehende Forderungen bestehen.
In diesem Zusammenhang ist auch auf ein intaktes internes Kontrollsystem zu achten. Ein solches System soll sicherstellen, dass das vorhandene Vermögen nicht gefährdet wird und dass darüber hinaus aus den unterschiedlichen Abteilungen die Informationen so zusammengetragen werden, dass daraus das operative Geschäft gefördert wird. Schließlich soll das interne Kontrollsystem auch sicherstellen, dass den Anweisungen der Unternehmensleitung Folge geleistet wird. Im Hinblick auf die erforderliche Qualität müssen Vorkehrungen getroffen werden, dass die Leistungen immer wieder im Unternehmen überprüft werden. Es muss eine Trennung zwischen Einkauf und Verkauf einerseits und Rechnungswesen andererseits vorliegen, die es verhindert, dass Unterschlagungen oder die Entgegennahme von Schmiergeldern ermöglicht werden. Diese Funktionentrennung wird in mittelständischen Betrieben oft vernachlässigt, weil nicht genug Personal vorhanden ist.
Autor: Prof. Dr. Jürgen Wegmann
PDF: Organizational Due Diligence