4.29. Klassisches Bookbuilding und Decoupled Bookbuilding

Aufgrund der höheren Flexibilität und Kapitalmarktnähe verdrängte das Bookbuilding das Festpreisverfahren bei IPO-Tranksaktionen nahezu vollständig. Die Modifikationsmöglichkeiten eines Bookbuildingverfahrens sind vielschichtig, wobei im Wesentlichen zwei Varianten zur Anwendung kommen: Das klassische Bookbuilding und das Decoupled Bookbuilding, bei dem die Zeichnungsfrist nicht an den Anfang, sondern an das Ende der Roadshow gesetzt wird und somit von ca. ein bis zwei Wochen auf z. B. drei Tage verkürzt wird. Dies ermöglicht eine sehr marktnahe Preisfestsetzung und kann insbesondere bei volatilen Märkten von Vorteil sein.

Emittentensicht

Die frühe Einbeziehung der Investoren in die Preisbildung wird oft als Gelegenheit zu frühzeitigen Preisverhandlung genutzt. Bei attraktiven Geschäftsmodellen und überzeugendem Management sollte die Emission jedoch ein knappes Gut sein, um das die Investoren bei der Zuteilung konkurrieren. Daher ist aus der frühzeitigen Einbeziehung der Investoren kein Verhandlungsnachteil zu erkennen. Im Gegenteil, eine Bewertungsspanne von ca. 20 % und ggf. eine Greenshoe-Option sichern eine effiziente Preisbildung und einen marktgerechten Platzierungserlös für den Emittenten. Der Emissionspreis wird dabei möglichst so gewählt, dass die zu erwartende Nachfrage das Emissionsvolumen übersteigt. Auf diese Weise wird das Platzierungsrisiko minimiert und eine positive Kursentwicklung unmittelbar nach der Erstnotiz ermöglicht. Ob klassisch oder „Decoupled“ kann nur individuell beantwortet werden, wobei beide Varianten aus Emittentensicht dem Festpreisverfahren meist überlegen sind.

Bankensicht

Während der Bookbuilding Phase sammelt der/die Bookrunner die Zeichnungsgebote in einem elektronisch geführten Verzeichnis und erhält so eine Preis-Absatz-Funktion für die Emission. Der Konsortialführer erhält somit die Möglichkeit, die Emission auch nach strategischen Aspekten im Sinne des Emittenten zuzuteilen. Im Rahmen der Zuteilung können die Qualität und die Anlagephilosophie der Investoren, bestimmte Regionen oder andere Kriterien berücksichtigt werden. Die begleitenden Banken sind, wie der Emittent, an einer vollständigen Platzierung und einer stabilen Kursentwicklung interessiert. Die „Decoupled“-Variante hatte mit den erfolgreichen IPOs der Conergy AG, der Interhyp und der Ersol AG ein erfolgreiches Debüt in Deutschland. Die Decoupled-Variante hat sich seitdem im platzierungsfreundlichen Umfeld bewährt. Das Decoupled Bookbuilding eignet sich weniger, wenn im Rahmen sehr großer IPOs auch im großen Stil Privatanleger angesprochen werden sollen und man deshalb längere Zeichnungsfristen benötigt.

Investorensicht

Die Einbeziehung in den Preisbildungsprozess gibt den Investoren die Möglichkeit, frühzeitig „mitzureden“. Da im Vorfeld umfangreiche analytische Bewertungen als Orientierungshilfe erstellt und publiziert werden und die Investoren im Wettbewerb um die Zuteilung stehen, ist die Gefahr des „Runterredens“ bei attraktiven Emissionen eher theoretischer Natur. Mit dem IPO werden insbesondere institutionelle Investoren neue Miteigentümer des Unternehmens und ein frühzeitiger intensiver Austausch mit Unternehmen und Management im Rahmen des Preisbildungsprozesses führt oft zu einer hohen Identifikation mit dem Investment. Die
intensive Beschäftigung mit dem Emittenten im Rahmen des Bookbuilding ermöglicht zudem nicht nur die marktgerechte Preisfindung zum IPO, sondern auch eine effizientere Informationsverarbeitung und Kurseinschätzung nach dem Erstlisting. Auch aus Investoren-Sicht bietet das Bookbuilding daher Vorteile zum Festpreisverfahren. Ob klassisch oder Decoupled ist bislang nicht statistisch signifikant untersucht. Allerdings ist zu vermuten, dass gut unterrichtete Investoren, die auch mit dem jeweiligen Geschäftsmodell und der Peergroup vertraut sind, schneller entscheiden und in der Decoupled-Variante daher höhere Zuteilungschancen haben sollten.


Autoren: Dr. Jochen Grossmann / Michael Schatzschneider
PDF: Klassisches Bookbuilding und Decoupled Bookbuilding