Der Deutsche Corporate Governance Kodex stellt eine Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft dar, sich an Vorschriften zu Leitung und Überwachung der Organe börsennotierter Unternehmen zu orientieren, die international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung entsprechen. Zu beachten haben den Kodex alle Unternehmen im Prime und im General Standard. Für die Unternehmen im Entry Standard ist dies nicht verpflichtend. Die Einhaltung der Empfehlungen und Anregungen beruht nicht auf einer bindenden Rechtnorm. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex haben noch keine positiven Auswirkungen der Einhaltung der Empfehlungen und Anregungen auf den Aktienkurs bestätigen können.
Der Deutsche Corporate Governance Kodex – eine Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft
Der Deutsche Corporate Governance Kodex stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung. Er soll das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften fördern.
Der Corporate Governance Kodex ist verpflichtend für die im Prime und General Standard notierten Unternehmen. Für die Unternehmen im Entry Standard trifft diese Verpflichtung nicht zu.
Ausgangspunkt der Entwicklung eines Deutschen Corporate Governance Kodex waren spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche zur Jahrhundertwende in Deutschland. Die damalige Regierung hatte 2000 eine Kommission einberufen, die Regelungen erarbeiten sollte, solche Unternehmenszusammenbrüche möglichst zu vermeiden. In den USA führten große Unternehmenszusammenbrüche infolge schwerer Bilanzmanipulationen 2002 zur Verabschiedung des Sarbanes-Oxley-Act. Die Diskussion um diese Zusammenbrüche in Deutschland, in Europa und in den USA hat die Verabschiedung des Deutschen Corporate Governance Kodex maßgeblich
gefördert.
Maßgeblich für das Verständnis des Deutschen Corporate Governance Kodex ist, dass es sich hierbei weitgehend um eine Selbstverpflichtung der Unternehmen handelt. Nur in wenigen Fällen der im Kodex
enthaltenen Empfehlungen und Anregungen lässt sich eine Rechtsverbindlichkeit ableiten.
Der Corporate Governance Kodex wird jährlich überarbeitet und den Erfordernissen der Unternehmen und den Adressaten des Kodex angepasst.
Er enthält drei Kerne:
- Selbstverantwortliche Organisation der Wirtschaft
- Flexibilität in der Anwendung und Weiterentwicklung des Kodex
- Transparenz der Unternehmensleitung und -überwachung
Der Kodex enthält Empfehlungen, die durch das Wort „soll“ gekennzeichnet sind. Hiervon kann abgewichen werden. Bei Abweichung muss das Unternehmen dies jährlich offen legen. Weiterhin enthält der Kodex Anregungen, von denen ohne Offenlegung abgewichen werden kann, hierfür sind die Wörter „sollte“ oder „kann“ ausschlaggebend. Die zurzeit 81 Empfehlungen und 20 Anregungen drücken keine Rechtsverbindlichkeit aus.
Die jeweils gültige Fassung des Corporate Governance Kodex findet man unter: www.corporate-governance-code.de/ger/kodex/index.html .
Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (Auszüge)
Die wichtigsten Empfehlungen und Anregungen des zurzeit gültigen Corporate Governance Kodex werden nachfolgend auszugsweise dargestellt. Sie orientieren sich an den jeweiligen Nummerierungen des Kodex.
1. Präambel
2. Aktionäre und Hauptversammlung
2.2 Hauptversammlung
2.2.4. Der Versammlungsleiter (der HV) sorgt für eine zügige Abwicklung der Hauptversammlung. Dabei sollte er sich davon leiten lassen, dass eine ordentliche Hauptversammlung spätestens nach 4 bis 6 Stunden beendet ist.
2.3 Einladung zur Hauptversammlung; Stimmrechtsvertreter
2.3.1 […] Der Vorstand soll die vom Gesetz für die Hauptversammlung verlangten Berichte und Unterlagen einschließlich des
Geschäftsberichts leicht zugänglich auf der auf der Internet-Seite der Gesellschaft […] veröffentlichen.
2.3.2 Die Gesellschaft soll allen in- und ausländischen Finanzdienstleistern, Aktionären und Aktionärsvereinigungen, die dies vor nicht länger als einem Jahr verlangt haben, die Einberufung der Hauptversammlung mitsamt den Einberufungsunterlagen mitteilen, auf Verlangen auch auf elektronischem Wege.
2.3.4 Die Gesellschaft sollte den Aktionären die Verfolgung der Hauptversammlung über moderne Kommunikationsmedien (z. B. Internet) ermöglichen.
3. Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat
3.4 […] Der Aufsichtsrat soll die Informations- und Berichtspflichten des Vorstands näher festlegen.
3.6 In mitbestimmten Aufsichtsräten sollten die Vertreter der Aktionäre und der Arbeitnehmer die Sitzungen des Aufsichtsrats jeweils gesondert […] vorbereiten.
3.8 […] Schließt die Gesellschaft für Vorstand und Aufsichtsrat eine D&O-Versicherung ab, so soll ein angemessener Selbstbehalt vereinbart werden.
3.10 Vorstand und Aufsichtsrat sollen jährlich im Geschäftsbericht über die Corporate Governance des Unternehmens berichten (Corporate Governance Bericht). Hierzu gehört auch die Erläuterung eventueller
Abweichungen von den Empfehlungen dieses Kodex.
Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber im Aktienrecht eine sogenannte Entsprechenserklärung aufgenommen,
die in § 161 AktG enthalten ist und wie folgt lautet:
„Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten
Empfehlungen der ‚Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex’ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden. Die Erklärung ist den Aktionären dauerhaft zugängig zu machen.“
4. Vorstand
4.2 Zusammensetzung und Vergütung
4.2.1 […] Eine Geschäftsordnung soll die Geschäftsverteilung und die Zusammenarbeit im Vorstand regeln[…].
4.2.3 […] Die monetären Vergütungsteile sollen fixe und variable Bestandteile umfassen. […]
4.2.2 Das Aufsichtsratsplenum soll auf Vorschlag des Gremiums, das die Vorstandsverträge behandelt, das Vergütungssystem für den Vorstand einschließlich der wesentlichen Vertragselemente beschliessen und soll es regelmäßig überprüfen.
4.2.5 Die Offenlegung soll in einem Vergütungsbericht erfolgen, der als Teil des Corporate Governance Berichts auch das Vergütungssystem für die Vorstandsmitglieder in allgemein verständlicher Form erläutert.
4.3 Interessenkonflikte
4.3.3 Die Vorstandsmitglieder sind dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Kein Mitglied des Vorstands darf bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen. […].
5. Aufsichtsrat
5.1 Aufgaben und Zuständigkeiten
5.1.2 Der Aufsichtsrat bestellt und entlässt die Mitglieder des Vorstands. Er soll gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen. […] Bei Erstbestellungen sollte die maximal mögliche Bestelldauer von fünf Jahren nicht die Regel sein. […] Eine Altersgrenze für Vorstandsmitglieder soll festgelegt werden.
5.1.3 Der Aufsichtsrat soll sich eine Geschäftsordnung geben.
5.2 Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden
[…] Den Vorsitz im Prüfungsausschuss (Audit Committee) sollte er nicht innehaben.
Der Aufsichtsratsvorsitzende soll mit dem Vorstand, insbesondere mit dem Vorsitzenden […], regelmäßig Kontakt halten und mit ihm die Strategie, die Geschäftsentwicklung und das Risikomanagement des Unternehmens beraten.
5.3 Bildung von Ausschüssen
5.3.1 In Abhängigkeit von den spezifischen Gegebenheiten sollen Ausschüsse gebildet werden.
5.3.2 Der Aufsichtsrat soll einen Prüfungsausschuss (Audit Committee) einrichten, der sich insbesondere mit Fragen der Rechnungslegung und des Risikomanagements, der erforderlichen Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, der Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer, der Bestimmung von Prüfungsschwerpunkten und der Honorarvereinbarung befasst. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren verfügen. […]
5.3.3 Der Aufsichtsrat kann weitere Sachthemen zur Behandlung in einen oder mehrere Ausschüsse verweisen.
5.4 Zusammensetzung und Vergütung
5.4.1 Bei Vorschlägen zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern soll darauf geachtet werden, dass dem Aufsichtsrat jederzeit Mitglieder angehören, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen.
5.4.2 Um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen, soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören. Ein Aufsichtsratsmitglied ist als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet.
5.4.4 Der Wechsel des bisherigen Vorstandsvorsitzenden oder eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsratsvorsitz oder den Vorsitz eines Aufsichtsratsausschusses soll nicht die Regel sein. Eine entsprechende Absicht soll der Hauptversammlung besonders begründet werden.
5.4.6 Die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder wird durch Beschluss der Hauptversammlung oder in der Satzung festgelegt. […] Die Mitglieder des Aufsichtsrats sollen neben einer festen eine erfolgsorientierte
Vergütung erhalten. […] Die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder soll im Corporate Governance Bericht individualisiert, aufgegliedert nach Bestandteilen ausgewiesen werden. […]
6. Transparenz
6.3 Die Gesellschaft wird die Aktionäre bei Informationen gleich behandeln.
6.6 […] Übersteigt der Gesamtbesitz aller Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder 1 % der von der Gesellschaft
ausgegebenen Aktien, soll der Gesamtbesitz getrennt nach Vorstand und Aufsichtsrat angegeben werden.
Die vorgenannten Angaben sollen im Corporate Governance Bericht enthalten sein.
7. Rechnungslegung und Abschlussprüfung
7.1 Rechnungslegung
7.1.2 […] Zusätzlich sind die Prüfstelle für Rechnungslegung bzw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht befugt, die Übereinstimmung des Konzernabschlusses mit den maßgeblichen Rechnungslegungsvorschriften zu überprüfen (Enforcement). […]
7.2 Abschlussprüfung
7.2.1 Vor Unterbreitung des Wahlvorschlags soll der Aufsichtsrat bzw. der Prüfungsausschuss eine Erklärung des vorgesehenen Prüfers einholen, ob und ggf. welche geschäftlichen, finanziellen, persönlichen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Prüfer und seinen Organen und Prüfungsleitern einerseits und dem Unternehmen und seinen Organmitgliedern andererseits bestehen, die Zweifel an seiner Unabhängigkeit begründen können. […].
Bewertung des Deutschen Corporate Governance Kodex
Der Deutsche Corporate Governance Kodex ist zum Teil mit selbstverständlichen Empfehlungen und Anregungen
überfrachtet, die bei einer Erfüllung eine Welt suggerieren, die mit der Unternehmenspraxis nichts gemein hat.
Eine vollständige Umsetzung der Empfehlungen und Anregungen ist darüber hinaus für ein Unternehmen nur schwer zu leisten.
Der Governance Kodex enthält eine Reihe von unternehmerischen Selbstverständlichkeiten. Gerade diese Selbstverständlichkeiten lassen sich aber nicht in ein Regelwerk pressen, da damit die Flexibilität und die Individualität erheblich beeinträchtigt werden.
Zur Bewertung und Akzeptanz des Deutschen Corporate Governance Kodex gibt einige Studien, die im Ergebnis zwar eine langsam steigende Akzeptanz des Kodex bestätigen, aber gerade im Hinblick auf deren Bedeutung für die Finanzkommunikation viel Licht und Schatten und wenig Investoreninteresse ausmachen. Hohe Corporate Governance Standards haben sich für die Aktionäre bisher nicht ausgezahlt. Gerade in den sensiblen Bereichen der Vorstandsvergütung musst erst ein Gesetz verabschiedet werden, da die freiwilligen Regelungen im Kodex dazu von den Unternehmen weitgehend ignoriert worden sind. Ebenso wird der Selbstbehalt der Organe bei der D&O–Versicherung bisher nur ansatzweise umgesetzt.
Autor: Prof. Dr. Jürgen Wegmann
PDF: Corporate Governance Kodex