Die Zahl der Börsengänge ist langfristig ein Indikator für den Stand der Aktien- sowie Kapitalmarktakzeptanz und kurzfristig für das Kapitalmarktklima eines Landes. Auch wenn letztlich die individuellen Charakteristika des Unternehmens entscheidend sind, erleichtert eine generell gute Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarktes den Gang an die Börse. Bei einem schlechten Kapitalmarktklima sind Börsengänge zwar nicht unmöglich; es bedarf jedoch einer größeren Überzeugungsleistung und nicht selten auch eines Abschlages auf den Emissionspreis, um eine Platzierung durchführen zu können.
Schwankende Kapitalmarktaktivität über die letzten 20 Jahre
Die Emissionstätigkeit ist nicht konstant. Phasen mit vielen Börsengängen wechseln sich mit eher schlechteren Zeiten für den Börsengang ab.
Das Volumen der Neuemissionen (einschließlich Kapitalerhöhungen) in Deutschland zeigt eine ähnliche Entwicklung wie die Zahl der Börsengänge. Herausragendes Börsenereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte war die Telekom-Neuemission im Jahr 1996 mit einer Größenordnung von umgerechnet nahezu 10 Mrd. Euro, die 80 % des gesamten Emissionsvolumens dieses Jahres ausmachten. Danach stiegen die Zahl der Börsengänge sowie das dadurch mobilisierte Kapital deutlich an, um mit dem Platzen der Blase an den Aktienmärkten drastisch zu sinken. Zwischen 2005 und 2007 ist aber eine deutliche Erholung eingetreten.
Insbesondere ab Mitte der 1990er Jahre schwankt die Emissionsaktivität stark. Der Boom in den Jahren 1998 bis 2000 als auch die jüngere Erholung hängen zum einen mit einem deutlichen Kursanstieg zusammen, der jeweils das Emissionsklima günstig beeinflusst hat; zum anderen sind die hohen Aktivitätsniveaus mit der Schaffung besonderer Marktsegmente in Deutschland zu erklären:
- Der Neue Markt richtete sich von 1997 bis zu seiner Schließung 2003 vor allem an junge Technologieunternehmen der sog. „New Economy“, die in dieser Zeit weltweit verstärkt die Börse als Finanzierungsquelle nutzten. 292 von 462 Börsengängen in dieser Zeit entfielen auf den Neuen Markt. Auch vergleichsweise hohe Regulierungsstandards konnten jedoch die übertriebene Euphorie bei allen Kapitalmarktteilnehmern und den anschließenden drastischen Kurssturz nicht verhindern.
- Seit 2005 wird durch besondere Segmente im privatrechtlich regulierten Freiverkehr versucht, attraktive Börsenbedingungen für kleine, junge und/ oder mittelständische Unternehmen zu schaffen. Die beiden bekanntesten Segmente sind der Entry Standard an der Frankfurter Wertpapierbörse und der M:access an der Börse München. Beide weisen im Vergleich zum öffentlich-rechtlich regulierten Markt ein geringeres Regulierungsniveau auf.
Steigende Zahl an Notierungsaufnahmen, vor allem im Freiverkehr und seinen Segmenten
Vor allem im Freiverkehr bzw. seinen besonderen Segmenten sind auch sog. Notierungsaufnahmen möglich und üblich. Im Unterschied zu einem IPO werden hierbei lediglich die Aktien des Unternehmens zum Handel an einer Börse zugelassen, um Investoren anzusprechen. Dies ist im Freiverkehr kostengünstig ohne einen Wertpapierprospekt möglich. Nachteil ist aber, dass bei einer Notierungsaufnahme neues Kapital für Wachstumszwecke nicht oder nur in sehr geringem Umfang über einer vorherige Privatplatzierung aufgenommen werden kann. Eine Notierungsaufnahme bietet sich daher in erster Linie als Zwischenschritt für eine spätere Kapitalerhöhung an.
Freiverkehr versus regulierter Markt
Weit über 200 der insgesamt gut 300 Börsengänge deutscher Unternehmen zwischen 2005 und 2007 entfielen auf den Freiverkehr und seine Segmente. Als Kapitalquelle spielt der Freiverkehr hingegen eine weitaus geringere Rolle. Im regulierten Markt und seinen Segmenten (z. B. Prime und General Standard) war das Emissionsvolumen im gleichen Zeitraum mit knapp 17 Mrd. Euro in etwa 20 Mal so hoch wie im Freiverkehr. Damit spiegeln die Statistiken die unterschiedlichen Zielsetzungen und Möglichkeiten der beiden Marktbereiche wider.
Autor:
Prof. Dr. Rüdiger von Rosen
PDF: Anzahl der IPOs