2.3. Die innere Börsenreife

Die innere Börsenreife eines IPO-Kandidaten bezieht sich auf die zentralen Funktionsbereiche der Unternehmensführung. So muss eine nachvollziehbare Unternehmensstrategie gegenüber dem Kapitalmarkt kommuniziert werden. Weiterhin ist eine plausible Unternehmensplanung vor dem IPO einzurichten. Ein den Kapitalmarkterfordernissen angepasstes Controlling, Risikomanagementsystem sowie ein internes und externes Rechnungswesen müssen ebenfalls vordem IPO im Unternehmen etabliert sein und nicht, wie in vielen Fällen praktiziert, erst nach dem Börsengang eingerichtet werden. Das gesamte Berichtswesen ist im Idealfall mindesten ein viertel Jahr vor dem IPO auf die Belange des Kapitalmarktes auszurichten.

Die Beurteilung der Börsenreife eines Unternehmens erstreckt sich in der Praxis auch auf die innere Börsenreife. Die Prüfung der inneren Börsenreife des Unternehmens umfasst im Wesentlichen die folgenden Aspekte der Unternehmensführung:

  • Unternehmensstrategie
  • Struktur und Effizienz der Unternehmensplanung
  • Controlling
  • Risikomanagementsystem (RM)
  • Internes und externes Rechnungswesen
  • Struktur des Berichtswesen
  • Führungs- und Organisationsstruktur des Unternehmens

Unternehmensstrategie

Ausgangspunkt der Prüfung der inneren Börsenreife ist die vom Management aufgestellte Unternehmensstrategie, die die Basis für die Börsenplanungdarstellt. Die Unternehmensstrategie beinhaltet grundsätzliche Entscheidungen des Unternehmensin Bezug auf eine Vielzahl von Aspekten, die für die Entwicklung des Unternehmens in der Zukunft von entscheidender Bedeutung sind. Beispielhaft hierfürsind:

  • Art und Umfang der Marktbearbeitung
  • Internationalisierung und Globalisierung
  • Wachstumspolitik (extern, intern)
  • Ergebnispolitik (Gewinn-, Umsatz-, Rentabilitäts- Ziele, Kennzahlen-Vorgaben)
  • Aussagen zu Kooperationen
  • Beschaffungs-, Produktions- und Finanzierungspolitik
  • Personalpolitik und Organisation des Unternehmens
  • Art und Umfang von Investitionen

Die Formulierung der Unternehmensstrategie erfolgt teilweise in einem komplexen Prozess in Form von Zielen, die das Unternehmen mittel- bis langfristig erreichen soll.

Die Unternehmensstrategie ist auch Gegenstand der Equity Story, die für eine erfolgreiche Aktienplatzierung im Mittelpunkt der Kommunikation zwischen dem Unternehmen und der Financial Community steht. Die Investoren müssen von der zukünftigen Unternehmensstrategie überzeugt werden, in der das Unternehmen aufgrund seiner Produkte und Leistungen, seiner Marktstellung, seiner Kreativität, seines Innovationspotenzials sowie der Qualifikation der Mitarbeiter und des Managements eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft sieht.

Unternehmensplanung

Ist die Unternehmensstrategie für den Börsengang festgelegt worden, bedarf es zu deren Realisierung einer operativen Börsenplanung. Die operative Planung enthält Prognosen sowie einen Plan, mit dem diese Prognosen erreicht werden können. Das Planungssystem sollte erkennbar machen, wie im Unternehmen und ggf. über den gesamten Konzern geplant wurde. Die Qualität der Börsenplanung kann anhand verschiedener Kriterien beurteiltwerden:

  • Dokumentation der Planungsrichtlinie und der Planungsprämissen
  • Art der Planung (Top-down oder Bottom-up)
  • Umfang des Planungshorizontes (z. B. Drei- oder Fünfjahresplanung)
  • Art- und Detaillierungsgrad sowie Verknüpfung der Teilplanungen (Umsatz-, Absatz-, Personal-, Investitions-, Finanz-, Liquiditäts-, Bilanz-, Ergebnisplanung)
  • Quellen der Inputdaten
  • Abgleich der Plandaten mit Markt- und Branchenstudien
  • Berücksichtigung der Marktverhältnisse und Rahmenbedingungen (Branche, Wettbewerb (Peergroup), Kunden, politische und gesetzliche Veränderungen)

Die Planungskompetenz des Börsenaspiranten lässt sich am besten durch Abweichungsanalysen der Plan- und Ist-Größen in der Vergangenheit und Gegenwart belegen.

Organisation

Ein weiteres Zeichen für die innere Börsenreife eines Unternehmens ist eine transparente Unternehmens und Organisationsstruktur, die mit der strategischen Planung des Unternehmens übereinstimmen sollte.

Ursprünglich steuerlich motivierte schwer zu durchschauende Beteiligungsverhältnisse sollten vor dem Börsengang in transparente Strukturen überführt werden. Keinesfalls sollte bei den Investoren die Vermutung entstehen, dass intransparente Unternehmensstrukturen dazu dienen sollen, die Altgesellschafter zu bevorteilen.

In der Praxis zeigt sich häufig, dass die Organisationsstruktur mittelständischer Unternehmen den Erfordernissen der Börsenplanung nicht genügt. Wenn die Organisationsstruktur dem Wachstum des Unternehmens nicht standhalten kann, können die dem Kapitalmarkt kommunizierten finanzwirtschaftlichen Ziele nicht erreicht werden. Dies schlägt sich in der Entwicklung des Aktienkurses unmittelbar nieder. Die Investoren wenden sich als Folge ertragsstärkeren Unternehmen zu, was die spätere Aufnahme von zusätzlichem Eigen- und Fremdkapital über die Börse erschwert.

Im Rahmen der Prüfung der inneren Börsenfähigkeit erfolgt auch eine Analyse, inwieweit bestandsgefährdende Risiken durch ein angemessenes Risikomanagementsystem vom Management erkannt werdenkönnen. Hierbei handelt es sich um eine im Aktiengesetzfestgelegte Verpflichtung zur Einrichtung einesÜberwachungssystems (§ 91 Abs. 2 AktG).

Führungsstruktur

Das Management des zukünftig börsennotierten Unternehmens sollte vor dem Börsengang in allen wichtigen Funktionsbereichen gut besetzt sein, um den Anforderungen des Kapitalmarktes zu genügen. Der oder die Gründerunternehmer sollten möglichst nicht sämtliche Managementfunktionen auf sich vereinigen. Die Rechtsform der AG ist gerade für externe Manager sehr attraktiv.

Im Mittelpunkt der vorbörslichen Führungsstruktur steht aber auch die Besetzung des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat ist nicht nur das zentrale Überwachungsorgan der Aktiengesellschaft, sondern fungiert auch als Berater des Vorstands und nimmt auf diese Weise Einfluss auf die Geschäftspolitik und Unternehmensstrategie. Das Amt des Aufsichtsrats wird nach gängigem Verständnis als „Nebenamt“ betrachtet. Dies darf nicht zu dem Missverständnisführen, dass es sich um nebensächliche Aufgaben handelt. Die Auswahl und die Qualifikation des Aufsichtsrats sind für die Fortentwicklung des Unternehmens von großer Bedeutung. Es handelt sich hierbei um eine wichtige strategische Entscheidung. Der Aufsichtsrat sollte unternehmerisch denken und frei von Interessenkonflikten sein. Für die Auswahl des Managements und des Aufsichtsrats sollte vor dem eigentlichen Börsengang ein Zeitraum von bis zu einem Jahr veranschlagt werden.

Rechnungswesen

Ein börsenfähiges Unternehmen muss auch über ein funktionierendes Rechnungswesen sowie einem Informations-und Controllingsystem verfügen, um die Einhaltung der Publizitätspflichten vor und nach dem Börsengang zu gewährleisten und um auf Ergebnisveränderungen kurzfristig reagieren zu können.

Sofern eine Notierung des Unternehmens im PrimeStandard angestrebt wird, ist die Anwendung der IFRS verpflichtend. Dies gilt nicht nur für die Berichterstattung des Unternehmens nach dem Börsengang, sondern auch für die Veröffentlichung historischer Finanzinformationen im Börsenzulassungsprospekt für die letzten drei Geschäftsjahre. Daraus resultierenvor dem Börsengang erhebliche Anforderungen an das Rechnungswesen. Es empfiehlt sich daher, sofrüh wie möglich mit der Umstellung der Rechnungslegung von HGB auf IFRS zu beginnen. Hieraus resultiert eine umfassende Organisationsveränderung (z. B. Anpassung der IT-Systeme, des Kostenrechnungssystems sowie des Controlling-Informationssystems). Erforderlich ist ferner die frühzeitige Rekrutierung von qualifiziertem IFRS-Personal. Diese Aspekte sollten in einer IPO-Zeitplanung Berücksichtigungfinden.

Unternehmen, die eine Notierung im Entry Standard anstreben, brauchen keine IFRS-Abschlüsse erstellen. Sofern ein Börsenprospekt erstellt werden soll, ergeben sich auch für diese Unternehmen Transparenzanforderungen in Bezug auf die Veröffentlichunggeprüfter historischer Finanzdaten. Das Rechnungswesen des Unternehmens sollte deshalb in der Lagesein, diese Informationen fristgerecht zur Verfügungzu stellen.

Controlling

Das Controlling ist eine zentrale Managementaufgabe. Aufgabe des Controllings ist die Unterstützungdes Managements bei der Planung, Steuerung und Kontrolle der Unternehmensziele durch eine adäquate Informationsversorgung über die leistungs- und finanzwirtschaftlichen Prozesse im Unternehmen. Inwieweit effiziente strategische und operative Controllinginstrumente vorliegen, ist deshalb auch Gegenstand der Prüfung der inneren Börsenfähigkeitdes Unternehmens.

Ein funktionierendes Controlling ist die fundamentale Voraussetzung für die Erstellung und die Erreichung einer Börsenplanung. Sofern die Kompetenzen zum Zeitpunkt des Börsengangs im Unternehmen nicht vorhanden sind, sind diese für einen Übergangszeitraum extern zu beziehen.


Autor: Günter Kaehlert
PDF: Die innere Börsenreife